Barrierefrei Reisen mit Gehbehinderung

Fremde Kulturen entdecken oder in exotischen Ländern entspannen: dieses Bedürfnis nach Ferien und Erholung steckt wohl in jedem Menschen. Doch nicht für jeden ist die Reiseplanung mit Vorfreude verbunden. Schon eine zu enge Tür, ein fehlender Fahrstuhl oder eine Schwelle im Boden kann beispielsweise für Rollstuhlfahrer zum Verhängnis werden. Menschen mit Behinderung müssen sich daher oftmals durch einen Dschungel an Vorbereitungen kämpfen – es kommt so bereits bei den Vorbereitungen der Reise zu einer gründlichen Abstimmung des Machbaren, um das gewünschte Reiseziel zu erreichen. Lastminute bietet Ihnen einen umfangreichen Ratgeber darüber, welche Normen und Richtlinien seitens der Unterkünfte sowie Reiseveranstalter bezüglich barrierefreien Reisen eingehalten werden müssen. Zusätzlich finden sich nützliche Tipps zum Thema entspanntes und sicheres Reisen.

 

Normen und Gesetze für eine barrierefreie Umgebung

Barrierefreiheit in der Schweiz

Seit dem 1. Januar 2004 regelt das Behinderten-Gleichstellungsgesetz (BehiG) in der Schweiz die Beseitigung von Benachteiligungen für Menschen mit Behinderung. Vorschriften für den barrierefreien Zugang zu einer öffentlich zugänglichen Baute oder Anlage sowie zu Wohngebäuden mit mehr als acht Wohneinheiten und Geschäftshäusern mit mehr als 50 Arbeitsplätzen sind darin geregelt. Auch Hotels sind einbegriffen. Unter diese Regelung fallen alle Neubauten sowie Umbauten, soweit sie einem kantonalen Bewilligungsverfahren unterstellt sind. Bei einem Umbau entscheidet sich nach dem Versicherungswert des Gebäudes, ob eine barrierefreie Anpassung nötig wird: die Umbaukosten dürfen 5 % dessen nicht überschreiten. Handelt es sich um eine Erneuerung, darf der Wert nicht mehr als 20 % betragen. Das BehiG stellt die gesetzliche Grundlage dar, die körperlich beeinträchtigte Menschen dazu berechtigt, eine mögliche Missachtung der Gleichstellungsrechte zu melden.

Die erforderlichen baulichen Anpassungen an die jeweilige Behinderung sind in jedem Fall anders und individuell. Für die Angabe von Normmassen wird jedoch meist das hinsichtlich der Abmessungen grösste Hilfsmittel für körperliche Behinderungen zurate gezogen: der Rollstuhl. Um sich dahingehend als «barrierefrei» auszuzeichnen, sollten in Hotels und Unterkünften folgende Bedingungen nach SIA Norm 500 von 2009 vorliegen:

 

Barrierefreie Fahrstühle & Hebeeinrichtungen in Unterkünften

  • Fahrstuhlkabinen sind in einer Mindestgrösse von 1,40 m (bei hohem Personenverkehr 2,00 m) x 1,10 m Bodenfläche zu bauen und sollten eine Mindestlast von 630 kg befördern können
  • der Bereich vor Fahrstuhlkabinen sollte mindestens 1,40 m x 1,40 m (ohne Gefälle) gross sein
  • Bedienelemente des Fahrstuhls sollen sich in Höhe von 0,80 m bis 1,10 m befinden
  • seitlicher Abstand zwischen Schachttüren und Treppenabgängen mindestens 0,60 m

Die gleichen Vorschriften bezüglich der Flächengrösse gelten für Hebebühnen, jedoch sollte eine Fahrstuhlintegration immer vorgezogen werden und Hebebühnen nur installiert werden, wenn die Baugegebenheiten nichts anderes zulassen. Die Tragkraft bei dieser Art von Beförderung muss mindestens 360 kg betragen. Auch Treppenliftflächen sollten mindestens 1,25 x 0,80 m gross sein und 250 kg aushalten.

 

Zugänge, Raumabmessungen & Sanitäranlagen in einer barrierefreien Unterkunft

Des Weiteren gelten Vorschriften für Niveauunterschiede der Erschliessung ausserhalb von Gebäuden, die stufenlos mit Rampen ausgeglichen werden müssen. Diese muss mindestens 1,20 m breit sein und darf maximal eine Steigung von 6 % aufweisen, in Ausnahmefällen 12 %. Ab einer Höhenüberwindung von 20 cm ist die Rampe zudem durch ein Geländer zu sichern.

Für Türen gilt eine Mindestbreite von 0,80 m. Für Gänge und Wege empfiehlt sich hingegen eine Breite von mindestens 0,90 m, im Idealfall sogar bis zu 1,20 m, damit der Rollstuhlfahrer bestmöglich agieren kann. Zwischen Türzargen darf auf dem Boden ausserdem kein Absatz vorhanden sein, es sei denn, dieser übersteigt eine Höhe von 25 mm nicht. Das gleiche gilt für Deckschienen im Boden.

Bezüglich Sanitäreinrichtungen ist darauf zu achten, mindestens eine Toilette auf jedem Stockwerk für Rollstuhlfahrer zur Verfügung zu stellen. Die Nutzfläche des Bad- und Duschraumes muss mindestens 3,80 qm messen, wobei keine Raumabmessung unter 1,70 m betragen darf. Bezüglich der Klosettkabine gilt, dass die Wände des Raumes mindestens 1,20 m breit und die Fläche vor dem Klosett 0,80 m x 1,20 m sein müssen.

 

Vorschriften zum Thema Barrierefreiheit in Europa

Italien, Deutschland und Kroatien zählen zu den beliebtesten Reisezielen der Schweizer. Doch nicht in jedem dieser Länder kann man mit den gleichen Bedingungen und Vorschriften bezüglich Barrierefreiheit rechnen. Deutschland, Österreich, Spanien und Grossbritannien verfügen ebenso wie die Schweiz über Gesetze zur Behindertengleichstellung und damit über eine umfangreiche Rechtsgrundlage.

Europaweit existieren dennoch einheitliche Normen, die ein ungestörtes Reisen ermöglichen sollen. So regelt die Norm ISO 21542:2011 beispielsweise europaweit Anforderungen und Empfehlungen für Konstruktionen, Bauteile und Armaturen wie etwa die Mindestbreite von 1,20 m und die Mindestweite von 1,00 m für Rampen. Auch ein einheitliches «Europäisches Konzept für Zugänglichkeit» (http://www.fdst.de/w/files/pdf/eca_deutsch_internet.pdf) besteht, hat jedoch genau wie die ISO Norm keine gesetzliche Grundlage sondern umfasst lediglich Richtlinien.

Eine Reise mit Gehbehinderung planen

Bevor die Reise losgehen kann, stehen besonders für Menschen mit Behinderungen zahlreiche Vorkehrungen an. Vor der Reiseplanung an sich sollte auch der behandelnde Arzt in die Pläne eingeweiht und um Rat gefragt werden. Besonders bei längeren Reisen sind so möglichweise gesonderte Anforderungen zu beachten. Auch der Umfang der Krankenversicherung sollte im Vorfeld geklärt und eventuell aufgestockt werden, da besondere Betreuung gerade im Ausland zu erhöhten Kosten führen kann. Für den weiteren Verlauf der Reise ist ausserdem wichtig, die Abmessungen des eigenen Rollstuhls zu kennen. Als Standardbreite gelten 0,70 m. Für Notfälle ist es ausserdem ratsam, einen Dienstleister für technische Probleme ausfindig zu machen sowie, wenn nötig, ein ärztliches Behandlungs- oder Therapiezentrum.

In der Reiseplanung sollten folgende Dinge ausserdem mit dem gewünschten Hotel oder der Unterkunft geklärt werden, sollte diese sich nicht explizit als barrierefrei bezeichnen:

  • Gibt es überall Rampen oder sind wenige Stufen im Notfall auch so zu überwinden?
  • Haben Badewanne, Toilette und Dusche einen Haltegriff / eine Hebevorrichtung?
  • Wie ist die Umgebung beschaffen? (z.B. Befestigung des Strandweges)
  • Wie viele Parkplätze gibt es in welcher Entfernung?
  • Ist der Platz im Zimmer ausreichend? (z.B. Abstand zwischen Bett und Wand)
  • Ist ein möglicher Shuttle-Service zum Hotel nutzbar?
  • Gibt es Ausflugsangebote für Menschen mit Gehbehinderung?

 

Barrierefrei Reisen mit dem Flugzeug

In jedem Fall sollte die individuelle körperliche Einschränkung vor Reiseantritt dem jeweiligen Reiseanbieter und der Fluggesellschaft mindestens 48 Stunden im Voraus angekündigt werden. Unter Umständen verlangt die Fluggesellschaft in diesem Zusammenhang ein ärztliches Zeugnis, welches den Grad der Beeinträchtigung attestiert, um sich möglichst genau auf die individuellen Bedürfnisse vor Ort einstellen zu können. Zu den möglichen Hilfeleistungen zählen Gepäckträger, Helfer bei Pass- und Sicherheitskontrolle sowie ein Abhol- und Bring-Service.

Die Fluggesellschaft SWISS stellt beispielsweise an den meisten Flughäfen geschulte Mitarbeiter zur Verfügung, die kostenlos Rollstühle sowie Transportfahrzeuge bereitstellen. Auch ein extra angefertigter Bordrollstuhl steht unentgeltlich zur Verfügung. Kundeneigene Rollstühle können kostenfrei im Frachtraum mitgeführt werden. Das gleiche gilt für medizinisches Sondergepäck (Inhalatoren, Beatmungsgeräte etc.) gegen Vorlage eines ärztlichen Attests.

Für alle Belange zum barrierefreien Reisen steht an den meisten grösseren Flughäfen speziell geschultes Personal bereit. Am Züricher Flughafen ist zum Beispiel die Firma Careport (www.careport.ch/) für alle Belange rund um behindertengerechtes Reisen zuständig und verfügt über eigens ausgewiesene Schalter. Für eine Betreuung auf dem Weg zum Flughafen, im Flugzeug oder auch auf der kompletten Reise kann zudem der spezielle Begleitservice der Firma Compagna (www.compagna-reisebegleitung.ch/) gebucht werden. Der Service gilt besonders für Reisende, die keine ausgewiesene Begleitperson in die Ferien mitnehmen können.

Ebenfalls empfiehlt sich eine Vorababfrage bezüglich behindertengerechter Bordtoiletten, da diese noch nicht zum Standard gehören und nur in einigen Flugzeugmodellen vorhanden sind.

Für elektrisch betriebene Rollstühle ist vor Antritt der Flugreise eine Angabe des Batterietyps notwendig. Gel-, Trocken oder Nassbatterien können im Rollstuhl verbleiben. Im Regelfall müssten dabei die Pole durch Klebestreifen isoliert oder abgeklemmt werden, um einen versehentlichen Kurzschluss zu verhindern. Auch dieser Service wird im Regelfall durch das Hilfspersonal übernommen. Eine Ersatzbatterie darf nur im Handgepäck mitgeführt werden.

 

Barrierefrei Reisen mit der Bahn

Sollte für die Fahrt zum Flughafen kein eigenes behindertengerechtes Transportfahrzeug zur Verfügung stehen oder wird die Reise nicht via Flugzeug angetreten, verfügen auch andere Verkehrsmittel über Möglichkeiten, um eine barrierefreie und angenehme Fahrt zu ermöglichen.

Für Reise- und Fernbusse beispielsweise besteht jedoch derzeit keine gesetzliche Grundlage, die die Mitnahme von Rollstuhlfahrern regelt. In einigen Fällen kann der Busfahrer sogar die Mitnahme eines zweiten Rollstuhlfahrers verweigern, sollte nur ein Platz zu Verfügung stehen. Bis zum Jahr 2024 sieht das BehiG jedoch vor, einen komplett hindernisfreien öffentlichen Verkehr zu schaffen. Viele Busunternehmen stellen allerdings gesonderte rollstuhlgerechte Klein- und Reisebusse zur Verfügung, die mit oder ohne Fahrer gemietet werden können.

Soll die Reise mittels Bahn erfolgen oder wird diese als Transportmittel zum Flughafen genutzt, müssen ähnliche Anforderungen beachtet werden wie am Flughafen selbst. Die SBB bedient fast 90 % des Personenverkehrs mittels Zügen in der Schweiz und stellt beispielsweise einen Online-Fahrplan zur Verfügung, der Züge als barrierefrei (Einstieg für Rollstuhlfahrer autonom möglich), nicht barrierefrei (Einstieg mit Rollstuhl nicht möglich) oder bedingt barrierefrei (Einstieg für Rollstuhlfahrer mit Hilfe möglich) deklariert. Für alle Fragen rund um Bahnfahrten in und aus der Schweiz kümmert sich das kostenlose Handicap-Callcenter der SBB und betreut telefonisch hilfebedürftige Reisende. Auf SBB.ch (https://www.sbb.ch/bahnhof-services/reisende-mit-handicap/sbb-call-center-handicap.html) finden sich alle nötigen Informationen zum Handicap-Center sowie eine Liste der Stützpunktbahnhöfe, Niederflureinstiege und behindertengerechter Fahrdienste. Damit der Ablauf optimal organisiert werden kann, sollte die Anmeldung der Hilfe spätestens ein bis zwei Stunden, bei internationalen Reisen sogar zwei Tage vor Zugabfahrt stattfinden. In folgender Tabelle finden sich die vorherrschenden Transportunternehmen der Schweiz und deren Nachbarländer sowie die jeweiligen Treffpunkte und die Erscheinungszeiten, sofern eine Voranmeldung besteht.

Land TransportunternehmenErscheinen vor Zugabfahrt (min)Treffpunkt
Schweiz SBB/CFF/FFS 10 Auf dem Bahnsteig bei Mobilift
Deutschland DB 30 DB Reisezentrum/Information
Frankreich SNCF 30 "Point Accueil SNCF"
Italien Trenitalia 30 Individuell vereinbart
Österreich ÖBB 20 Individuell vereinbart
Niederlande NS 15 Individuell vereinbart
Belgien SNCB 15 Individuell vereinbart

1 Angelehnt an: www.sbb.ch/bahnhof-services/reisende-mit-handicap/international-unterwegs.html

 

In vielen Zügen gibt es eigene Rollstuhlabteile. Dafür sollte der Rollstuhl die Standardmasse 0,70 m x 1,20 m und ein Gewicht von 300 kg nicht überschreiten. Zudem erhalten gehbehinderte Menschen nach Vorlage des entsprechenden Ausweises die Fahrkarte vergünstigt und eine notwendige Begleitperson reist kostenlos mit.

Die Reise ist im Detail mit dem jeweiligen Reiseveranstalter und dem gewünschten Transportmittelanbieter zu klären. Auch unterschiedliche länderspezifische Anforderungen, Normen und Gesetze sollten im Vorfeld noch einmal abgeklärt werden. Mit ausreichender Vorbereitung lässt sich so auch im Rollstuhl eine erlebnisreiche und problemlose Reise geniessen.

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